Wieviel Freiheit steckt in der Eutonie-Pädagogik und worin besteht sie?
Zwölf EutoniepädagogInnen und 2 Gäste haben ihre Erfahrungen und Gedanken dazu in einem offenen Gespräch zusammengetragen. Das Gespräch wurde im Rahmen des 10. Winterkurses „Eutonie in Bewegung“ am 28. 02. 2020 in der Eutonie-Akademie Bremen digital aufgezeichnet, verschriftlicht und zusammengefasst von Renate Riese.
Unsere Ausgangsthese lautete:
Eutonie gibt uns die Freiheit, unseren Lernprozess selbstbestimmt zu gestalten.
Wo fängt die Freiheit an? Wie viel und welche Art von Anleitung braucht es, „damit ein in Freiheit gestalteter Lernprozess überhaupt in Gang kommt?“
Zunächst mal unterscheiden wir zwei Dinge: die präzise Anleitung („Ansage mit Autorität“) und der übergeordnete Lernprozess; denn der Gesamtlernprozess ist umfassender als das aktuelle Tun.
Was paradox klingt, gehört zusammen: Wir brauchen die konsequent geführte Anleitung, sinnvoll geordnete Schritte, klare Vorgaben als Orientierungsrahmen.
Die Freiheit besteht darin, wie die Einzelnen das Gehörte umsetzen. Darin werden sie unterstützt durch Hinweise wie: Spürt, wie es euch dabei geht. Was stimmt für euch? Was tut euch gut?
Es geht nicht darum, eine Aufgabe zu erfüllen oder etwas nachzumachen. „Es geht um die Selbstwahrnehmung, um eine neue Präsenz“.
Begrenzung macht die Freiheit „kostbarer.“ Indem wir einen überschaubaren Abschnitt des gemeinsamen Weges in den Blick nehmen, können wir die Freiheit besser wahrnehmen und „konkretisieren“.
Auch die Möglichkeit, sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen, gehört dazu: „Äußern dürfen, was mich beschäftigt: mein ganz individueller Lernprozess, meine Freiheit!“
Der Rahmen gibt Sicherheit. Die Anleitung ist ein Angebot. Die Anwesenden sind aufgerufen, gut für sich zu sorgen. Sie sollen lernen, sich wert zu schätzen, und sich die Freiheit nehmen, die Vorgaben nach eigenem Vermögen umzusetzen.
Wie verstehen wir unsere Aufgabe als Eutonie-PädagogIn?
„Ich begleite einen möglichen Lernprozess. Das kann bedeuten: ich gehe voraus, oder: ich stehe am Rand, oder: ich bin daneben oder dahinter. Frei nach Gallilei: Ich kann nichts lehren, ich kann nur helfen zu entdecken.“
Was initiieren wir in einem Eutoniekurs? Es ist eine Herausforderung, mit so unterschiedlichen Menschen umzugehen: Wir können nicht wissen, wer da auf der Matte liegt und was er/sie erlebt. Manchmal tappen wir im Dunkeln, wenn keine Rückmeldungen kommen.
Wir befriedigen keine Leistungsvorstellungen. Wir geben kein Ziel vor, das zu erreichen wäre.
Das macht uns bewusst: Lernen mit Eutonie ist anspruchsvoll und konfrontativ. Wir haben es am eigenen Leibe erfahren: Es verlangt viel, sich auf`s Spüren und auf die eigenen (abgespaltenen) Gefühle einzulassen.
Welche Menschen kommen zur Eutonie und gehen wieder, welche bleiben?
Wir hören immer wieder, das Sich-Spüren sei „zu anstrengend“ oder banal: „so ein Blödsinn!“ oder unspektakulär: „Da passiert ja nichts!“
Gleichzeitig erleben wir, dass Menschen nach langer Zeit wieder kommen.
„Woher wissen wir, dass nichts passiert? Es arbeitet weiter. Viel später hast du`s zur Verfügung. Es ist nichts verloren!“ Kreative Prozesse brauchen Zeit.
Und: Nicht jede/r geht diesen Weg.
Wir sorgen dafür, dass wir Menschen durch einfache Anleitung und klare Struktur die nötige Sicherheit geben. So können sie sich mit ihren individuellen Möglichkeiten erleben und, wenn sie sich darauf einlassen, entlastende, ermutigende und anregende Erfahrungen machen.
„Wenn wir klar sind, was für uns das Kostbare an der Eutonie ist, können auch andere andocken.“
Eutonie ist weltanschaulich neutral. Worauf richten wir uns aus? Was ist unsere Grundeinstellung?
Wir haben eine „umfassenden Idee von Pädagogik“. Dazu gehören „die Zuwendung und die Liebe zum Menschen.“
Andere Zeiten – andere Menschen
Mit wem haben wir`s heute zu tun? Was hat sich verändert seit den Zeiten unserer eigenen Ausbildung in Eutonie-Pädagogik und Eutonie-Therapie?
„Wir haben damals gegen Dogmen gekämpft.“ Heute geht es eher um verloren gegangene Orientierung. Wie können wir darauf eingehen? Wie kommen wir ins Gespräch miteinander?
Die Eutonie-Prinzipien strukturieren den Prozess. Verschiedene Eutonie-Materialien bieten Orientierung, wecken Empfindungen und sind ein guter Aufhänger für Gespräche.
„Eutonie wird alltagstauglich.“ Dazu gehört die Verbindung zur Reflexionsebene, das Formulieren und Verstehen von Zusammenhängen. Theorie und Praxis ergänzen sich in einem selbstgesteuerten Lernprozess. Was wir verstehen, macht uns wissbegierig, motiviert unser Interesse an lebendigen Prozessen. Kein Entweder-Oder mehr, sondern „und – und – und“! Verbinden, was zusammengehört. Lernprozesse reflektieren.
Dazu gehört die Freiheit, das eigene Lerninteresse artikulieren zu dürfen. Anfangs gibt es dafür oft noch keine Worte. Wichtig aber, „dass es erlaubt ist, überhaupt Fragen zu stellen. Fragen zulassen! Sich trauen zu fragen!“